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Klettern in Taghia – Marokko

Ein Reisebericht meiner beiden Kletterreisen ins Atlasgebirge in den Jahren 2014 und 2019.

Einleitung

Im Studienjahr 2013/14 verbrachte ich ein Erasmus-Jahr in Granada. Eines Abends drückt mir meine Mitbewohnerin beim Abendessen beiläufig ein Büchlein in die Hand: „Taghia et autres Montagnes Berbères“. Sie lächelt und sagt: „Wenn du gerne Alpin kletterst, musst du nach Taghia fahren!“ Ein Blick in den Führer und eine kurze Recherche im Internet reichen: Dort muss ich unbedingt hin!

Ich greife sofort zum Telefon und rufe meine Kletterkontakte in Granada durch. Glücklicherweise hat mein Studienkollege Felix Zeit, und schon steht der Plan: Wir reisen nach Taghia!

Taghia 2014: Erste Begegnung mit einem Kletterparadies

Nach einer turbulenten Nacht in Marrakesh und einer abenteuerlichen selbstorganisierten Anreise mit dem öffentlichen Verkehr erreichen wir nach einem Tag Busfahrt, scheinbar endlosem warten in kleinen Ortschaften und einer zweistündigen Wanderung im Mondschein durch ein Flussbett ohne konkreten Plan („No problem, just follow the river“) um Mitternacht das kleine Berberdorf Taghia – zum Glück ist unser Gastgeber noch wach. Erschöpft fallen wir ins gemütliche Bett.

Was folgt sind sechs Tage mit über 2100 Klettermetern an steilem feinsten marokkanischen Fels:

  • Canyon apache (6c, 280m)
  • Les riviéres pourpes (7c, 500m)
  • Los ratones coloraos (6c+, 400m)
  • Au nom de la réforme (6c (6b), 300m)
  • Baraka (7b (6b), 680m)
  • Classe Montange Espinal (6c+ (6a+), 300m)

Am Ende dieser Reise denke ich nur: „Ich muss zurückkommen!“ Fünf Jahre später mache ich mein Versprechen wahr und kehre an diesen einzigartigen Ort zurück.

Taghia 2019: Rückkehr ins Berberland

Taghia hat sich seit meinem ersten Besuch kaum verändert – und doch steht es an einem Wendepunkt. Die jahrelange Arbeit an einer Zufahrtsstraße ist fast abgeschlossen. Während sich die Dorfbewohner auf bessere Versorgung und Bildung freuen, befürchte ich, dass der abgeschiedene Charme bald verschwinden könnte.

„Wer vom „ursprünglichen“ Taghia noch etwas erleben möchte, sollte sich also beeilen.“

Unsere Reisegruppe – Martin, Andi, Mario und ich – erreicht Taghia nach einer sechsstündigen Taxifahrt über holprige Schotterpisten. Vom letzten Dorf aus tragen wir unser Gepäck auf dem Rücken oder lassen es von einem Esel transportieren. Nach zwei Stunden Fußmarsch begrüßt uns das Tal mit seiner atemberaubenden Kulisse: steile Felswände, grüne Felder und das beschauliche Berberdorf Taghia.

Taghia –  Gite de Said

Unsere Unterkunft, die Gîte von Said, wird zum Dreh- und Angelpunkt unserer Reise. Die Familie kümmert sich mit einer Mischung aus marokkanischer Gastfreundschaft und pragmatischer Organisation um alles, was wir brauchen. Von der Terrasse aus genießen wir den Blick auf die umliegenden Gipfel, die knapp an der 3.000-Meter-Marke kratzen. Das Dorf selbst liegt auf etwa 1.900 mH.

„Eine richtig große Auswahl an Routen finden Kletterinnen und Kletterer vor, die sich im 9. Grad auch in alpinem Umfeld wohlfühlen.“

Haute Grimée – hohes Niveau

Ein Blick in den Kletterführer verrät, dass es hier kaum klassische Plaisir-Routen im 6. Grad wie in den Alpen gibt. Das liegt wohl auch an der späten Erschließung des Gebietes, die erst Ende der 90er so richtig Fahrt aufnahm. Die leichtesten Routen bewegen sich immer noch im anhaltenden 7. UIAA-Grad, meist über mehrere Seillängen hinweg. Eine richtig große Auswahl an Routen finden Kletterinnen und Kletterer vor, die sich im 9. Grad auch in alpinem Umfeld wohlfühlen. In der Gite von Said wird ein Kauderwelsch aus Englisch, schlechtem Französisch und der jeweiligen Muttersprache gesprochen, aber irgendwie versteht man sich doch. Die Gäste kommen aus halb Europa von Spanien und Portugal über Frankreich und Belgien bis Deutschland, Österreich und Italien sind viele Nationen vertreten.

Hoch lebe die Daune – Kaltfront

Es ist zwar von Beginn unserer Reise an kalt, am dritten Tag spitzt sich die Lage allerdings mit Schneefall bis ins Dorf zu. Nach zwei kalten Klettertagen mit klammen Händen ist also erstmal Rasten / Wandern angesagt. Die Häuser in Taghia haben keine Zentralheizung. Durch die anhaltend niedrigen Temperaturen kühlt das ganze Haus aus. Meist sitzen wir mit Skiunterwäsche, Daunenjacke, Haube und zugedeckt mit einer Decke im Aufenthaltsraum. Zugegeben: Das hatten wir in Nordafrika nicht erwartet. Die Daunenjacken wurden nur zur Sicherheit eingepackt. Die „warme gelbe Suppe“ wird neben einer warmen Dusche zum Highlight des Tages. Die Stimmung bleibt aber gut. Am Abend gibt’s wegen einem Stromausfall Candlelight-Dinner. Zu Essen gibt es wie jeden Tag eine Tajine sans viande: in einem speziellen Tongefäß gedünstetes Gemüse mit Fladenbrot, Couscous oder Nudeln (täglich wechselnd in dieser Reihenfolge). Obwohl das Essen jeden Tag gleich ist, essen wir uns nicht davon ab und freuen uns jeden Tag wieder. Irgendwie ist es auch beruhigend, wenn man weiß was man bekommt – der Mc-Donalds-Effekt.

Attaque – Silberstreif am Horizont

Ab Ostermontag (22. 04.) bessert sich das Wetter. Vor allem der Felsen ist immer noch kalt, aber Klettertouren sind jetzt immerhin bei entsprechender Routenwahl möglich. Finger und Zehen werden schon nach wenigen Klettermetern taub. Das ist nicht nur etwas beängstigend, weil man ein Abrutschen nicht spürt, sondern erhöht auch die Gefahr von Verletzungen. Am Ostermontag wird am Gipfel ein von Martin mitgebrachtes Schoko-Osterlamm geschlachtet.


Wir wählen gezielt Süd- und Ost-orientierte Wände zum Klettern aus, so geht es und die Temperaturen werden von Tag zu Tag höher. Nach drei Klettertagen ist wieder ein Rasttag angesagt. Diesmal nicht aufgrund des Wetters, sondern wegen der zunehmenden Erschöpfung. Die Finger sind durch den scharfen Fels auch schon schwer in Mittleidenschaft gezogen – also Wandertag.

Gite von Achmed, Berberwürstel mit Pommes

Für einen anderen Gast, der eine Route einrichten möchte, tragen wir Material in eine entlegene Schlucht am Fuße des Hauptgipfels Oujdad. Wir sollen es einfach in der Gite von Achmed hinterlegen, er wisse Bescheid. Als wir dort ankommen ist Achmed nicht da. Wir werfen einen Blick in seine Unterkunft. Diese hat weder Fenster noch Türen. Eine Öffnung ist nur mit einem schweren Vorhang verdeckt. Drin ist nicht viel mehr als ein Bett und eine Feuerstelle zu sehen. Später erfahren wir, dass Achmed bis vor ein paar Jahren in einer Höhle wohnte. Er hat zwar Frau, Kind und Haus in Taghia, zieht dem Trubel und den Annehmlichkeiten des Dorfes aber die Einsamkeit der Berge vor und hält sich meistens in seiner Expositur auf. Wir denken uns, so muss es wohl auch auf den Almen in den Alpen gewesen sein bevor sie die Massen erreicht haben und witzeln:
Gibt es erst mal eine Straße nach Taghia werden Achmed die Touristen in Massen heimsuchen. Dann muss er neben Grünem auch Jaga-Tee anbieten, Berberwürstel mit Pommes und Germknödel wird es dann wohl auch geben…

Baraka – Abschied

Die Wahl unserer Abschlusstour, die wir in zwei Seilschaften zu viert machen fällt nicht schwer: Die Baraka soll es sein: Sie führt in 16 Seillängen auf den höchsten Gipfel der Region, den Oujdad. Die Schlüssel-Seillänge ist zwar 7b kann aber auch A0 geklettert werden, so ist die schwerste Länge 6c (UIAA 7+) und für uns machbar. Die ersten 6 Seillängen sind fordernd, anhaltend im oberen 7. UIAA-Grad und durchwegs 40 – 50 m lang. Insgesamt wird eine 680m hohe Wand durchklettert. Wir schaffen es in 8 Stunden nach oben und können unsere Stirnlampen auch bei der letzten Tour eingepackt lassen. Auch den schwer zu findenden Abseiler erreichen wir locker bei Tageslicht. Zum Glück sind wir früh genug gestartet (Einstieg 07:30), so konnten wir die schweren ersten 6 Längen noch im Schatten klettern. Mittlerweile sind die Temperaturen nämlich schon wieder mehr als angenehm.

Von unserem Host Mohammed erfahren wir, dass der Name Baraka nicht etwa eine Referenz an die Marmeladen-Marke ist, die wir in den letzten zwei Wochen fast jeden Tag gegessen haben, sondern ein islamischer Segen mit dem man sich an bestimmten Orten „aufladen“ kann.

Shit – Lebensmittelvergiftung

Mit dem Baraka-Segen ausgestattet geht es am nächsten Tag zurück nach Marrakesch. Die Autofahrt mit riskanten Überholmanövern und kurzen Abständen in der Kolonne gehört wohl zum gefährlichsten, das wir in diesem Urlaub gemacht haben. Die Großstadt, der Lärm und das Gedränge sind für uns nach zwei Wochen in der Einsamkeit ohne Autos kaum auszuhalten. Marrakesch ist als Reiseziel wenig interessant. Es gibt kaum etwas zu besichtigen. Die Medina (der Markt in der Altstadt) bietet nur für maximal einen Tag Programm. Beim Spazieren durch den Markt gibt es im Grunde wenig Abwechslung. Die Angebote und die Stände scheinen sich zu wiederholen. Leider fängt sich Stefan am letzten Tag eine Lebensmittelvergiftung ein. Damit muss man in einem Land mit niedrigen Hygienestandards wohl rechnen. Mit Müh und Not schafft er es in den Flieger zurück nach Österreich.

Mario, Martin und Andi erkunden nach all der Kälte die Annehmlichkeiten eines Hamams (orientalisches Dampfbad) und lassen sich vom Bademeister ordentlich abschrubben.


INFOS ZUM KLETTERN IN TAGHIA:

Anreise:

Flüge nach Marrakesh gibt’s von zahlreichen Flughäfen Europas. Die Einreise nach Marrakesh ist unkompliziert, da Marokko ein ziemlich beliebtes Reiseziel für europäische Touristen ist (Es muss vorab kein Visum beantragt werden). Die weitere Anreise kann mittels öffentlicher Verkehrsmittel oder Taxis (direkt beim Flughafen) erfolgen. Am einfachsten gleich von der Unterkunft organisieren lassen (ca. 100€ pro Strecke für 4 Personen, 10€ pro Esel). Mittlerweile gibt es die Straße nach Taghia – der 2-stündige Fußmarsch ins Dorf ist trotzdem empfehlenswert und wunderschön.

Beste Reisezeit:

Am besten eignet sich der Frühling (April, Mai) oder der Herbst (September, Oktober). Da Taghia auf ca. 1900 Metern Seehöhe liegt und die Wände in alle Himmelsrichtungen ausgerichtet sind, kann man auch außerhalb dieser Zeiten gute Verhältnisse antreffen.

Unterkunft:

Die Gite von Said ist die älteste Unterkunft in Taghia und dort sind auch so gut wie alle Topos und neuen Routen zu finden (https://www.climbingtaghia.com). Für 15€ gibt’s gemütliche Betten, eine warme Dusche und ausreichend Frühstück und Abendessen. Die weiteren Unterkünfte kann man leicht mit Google Maps finden.

Kletter-Infos:

Das Kalkgestein in Taghia ist steil, scharf und kompakt. Der Großteil der Routen ist mit solidem Hackenmaterial eingerichtet und meistens ist dort ein Hacken wo man ihn sich wünscht. Allerdings sollte man solide im franz. Grad 6a-6b klettern um wirklich Spaß zu haben. Außerdem sind bis zu diesen Graden die Runouts nicht zu verachten (es empfiehlt sich ein paar Keile und Friends dabei zu haben). Die Zustieg zu den Routen sind oft relativ kurz (15 Minuten – 1,5 Stunden). Die Abstiege manchmal lang, ausgesetzt und mit Steinmännchen markiert. Die spektakulär angelegten Berberpfade mit Brücken- und Stufenkonstruktionen aus Holz und Stein erfordern manchmal Vertrauen und garantieren ein besonderes Erlebnis.

Der einzige Kletterführer von Taghia stammt von Christian Ravier und ist über seine Homepage für aktuell 40€ erhältlich (http://www.christian-ravier.com). Einzelne Topos findet man auch auf diversen Internetplattformen.

Reiseliteratur


Ein KI generierter Podcast, damit du den Artikel nicht lesen musst.



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